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Die Ernährung in der freien Natur

Tortuga Mora, die Schwarze Schildkröte in Spanien

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Europäische Landschildkröten sind Pflanzenfresser. In ihrem Primärlebensraum, der Ur-Macchia finden die Schildkröten zwischen und unter den Büschen und auf den vielen eingestreuten Lichtungen zu jeder Jahreszeit ein reichhaltiges Angebot an Pflanzenkeimlingen, Blättern, Stängeln, Knospen, Blüten, Wildfrüchten, Samen einschließlich deren Kapseln und Schoten sowie an Rinden, Wurzeln und vertrockneten Pflanzen.

Allgemein fressen die Schildkröten alles was pflanzlicher Herkunft und für sie erreichbar ist. Die europäischen Landschildkröten haben jedoch unterschiedliche Fressgewohnheiten, die teilweise auch an die verschiedenen Habitate angepasst sind. Grundsätzlich ist die Breitrandschildkröte (Testudo marginata) überhaupt nicht anspruchsvoll und weidet alle genießbaren Pflanzen einschließlich der meisten Gräser ab. Die Maurische Landschildkröte (Testudo graeca ) und die Östliche Unterart der Griechischen Landschildkröte (Testudo hermanni boettgeri) sind bereits wesentlich wählerischer und fressen so gut wie kein Gras, in Ausnahmefällen manchmal verschiedene Süßgräßer (Gramineae). Ein wahrer Feinschmecker ist die Westliche Unterart der Griechischen Landschildkröte (T. hermanni hermanni) und bedingt auch die Dalamtinische Landschildkröte (T. h. hercegovinensis). Beide sind in der Pflanzenauswahl äußerst anspruchsvoll und verschmähen jede Art von Gras. Wird versehentlich ein Grashalm mitgefressen, wird dieser regelrecht ausgewürgt und mit den Vorderfüßen wieder aus dem Maul herausgezogen.

Schildkröten sind Weidegänger, das heißt die Tiere sind während der Nahrungsaufnahme ständig in Bewegung, fressen hier an einem Blatt und laufen kauend weiter zur nächsten Pflanze.  

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Die Pflanzen und auch die Teile der Pflanzen die bevorzugt gefressen werden sind auch jahreszeitlich sehr unterschiedlich.

Grundsätzlich unterscheiden sich die in den Primärlebensräumen wachsenden Pflanzen nicht nur im Wuchs, sondern auch im Artenreichtum erheblich von den in bewirtschafteten Flächen wachsenden Pflanzen. Die felsige Struktur und die starke Besonnung sorgen in den Wärmeinseln der Habitate für eine wesentliche höhere Grundtemperatur. Hierdurch wachsen auf den steinigen, flachgründigen, nährstoffarmen und kalkreichen Böden nur winzig kleine Pflanzen die eine kürzere Vegetationszeit haben und deshalb wesentlich schneller blühen und fruchten.  

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Durch die fehlende Beweidung können sich die Pflanzen in der Ur-Macchia noch ungestört entwickeln und den Artenreichtum erhalten. Auch in Dünenhabitaten ist der Boden karg, äußerst kalkreich und nahezu frei von Humus so dass die dortigen Pflanzen den selben Zwergenwuchs aufweisen.

Auf beweideten Macchia-Flächen kommt es sehr schnell zu einer Verarmung der Pflanzenarten, weshalb bereits hier den Schildkröten nicht mehr die natürliche Pflanzenvielfalt zur Verfügung steht. Gerade auch bei der Ernährung kann als „Vorbild Natur“ nur der wirklich ursprüngliche Primärlebensraum und nicht irgendeine vom Menschen bereits veränderte und bewirtschaftete Fläche herangezogen werden.      

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Im Frühjahr und wieder im Herbst benötigen die Schildkröten viel Energie. Sie fressen deshalb zunächst fast ausschließlich frisch gekeimte Triebe und nehmen dadurch reichhaltige Eiweißverbindungen auf. Die gesättigten und ungesättigten Fettsäuren wirken positiv auf viele Stoffwechselprozesse und stärken das Immunsystem. Wildpflanzen haben im Gegensatz zu Kulturpflanzen einen höheren Kalzium-, Mineral-, Vitamin- und Rohfasergehalt bei einem relativ reduzierten Wasseranteil. Die meisten Wildpflanzen enthalten zusätzlich viele gesundheitsfördernde Substanzen, wie ätherische Öle, Bitterstoffe, Flavonoide, Gerbstoffe, Saponine und Schleimstoffe und werden deshalb auch heute noch in der Pflanzenheilkunde verwendet.      

Besonders die ätherischen Öle und Bitterstoffe haben bei der Verdauung eine positive Wirkung und helfen auf Dauer, den Magen-/Darmtrakt gesund zu erhalten. Andere Inhaltsstoffe binden Gifte, wirken antiseptisch und blutreinigend. Alle diese aus der Volksmedizin bekannten Wirkungen sind zwar nur für uns Menschen und Säugetiere belegt, es kann jedoch angenommen werden, dass diese Inhaltsstoffe genauso wie die Mineralstoffe und Vitamine auch bei Reptilien in gleicher Weise wirksam sind.

Das Frühjahr

Eine besondere Vorliebe für bestimmte Pflanzen ist im Frühjahr zunächst noch nicht zu beobachten. Die Tiere weiden praktisch alles ab was keimt. Auch Keimlinge und frische Triebe von Pflanzen, Büschen und Bäumen die sie im ausgewachsenen Stadium in der Regel verschmähen, wie beispielsweise die meisten Arten des Salbeis (Salvia sp.) oder die Laubblätter der Zistrosen (Cistus sp.). Durch diese Vielfalt ernähren sich die Schildkröten abwechslungsreich und ausgewogen. Die verschiedenen Pflanzen enthalten alle wichtigen Grundnährstoffe, weshalb Mangelerscheinungen in der Ur-Macchia ausgeschlossen sind.

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In der folgenden Vegetationsperiode zeigen europäische Landschildkröten eine Vorliebe für alle löwenzahnähnlichen Rosettenpflanzen die Milchsaft enthalten. In der Regel sind das Korbblüher (Asteraceae). Gefressen werden mit Vorliebe auch viele würzig schmeckenden Kreuzblütler (Brassicaceae), Hülsenfrüchtler (Leguminosae), die meisten Kleearten (Anthyllis, Dorycnium, Lotus, Medicago, Trifolium) mit Ausnahme der oxalsäurehaltigen Bitterkleearten (Oxalis) sowie viele andere Schmetterlings- und Lippenblütler (Fabaceae und Lamiaceae) und Nelkengewächse (Caryophyllaceae).   

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Der Sommer

Im Frühsommer fressen die Schildkröten bevorzugt Blütenknospen und Blüten besonders rot und gelb blühender Pflanzen und im weiteren Verlauf Wildfrüchte aller Art, die noch grünen Samenkapseln und Schoten und schließlich die verschiedenen Samen selbst. Allerdings sind Wildfrüchte in keiner Weise mit den für den menschlichen Verzehr gezüchteten wässrigen, süßen, zuckerhaltigen Früchten zu vergleichen. Sie sind vorwiegend trocken, schmecken fad und enthalten wenig Fruchtzucker.Im Hochsommer fressen die Tiere fast ausschließlich nur noch trockene Pflanzenbestandteile und Blätter von diversen Bäumen und Büschen. Die Schildkröten nagen auch sehr ausdauernd an Rinden und Wurzeln, die teilweise regelrecht ausgegraben werden.

In dieser kargen Zeit vollführen die Schildkröten die tollkühnsten Kletterkünste um an Blätter, Wildfrüchte und Samenkapseln zu gelangen. Gerade die energiereichen Samen sind in dieser futterpflanzenknappen Zeit durch ihren hohen Anteil an Pflanzenölen mit den wertvollen gesättigten und ungesättigten Fettsäuren und Eiweißverbindungen wichtig für eine gesunde Ernährung und in der Folge auch für eine erfolgreiche Fortpflanzung.

Bis weit in den heißen Sommer hinein sind aber auch noch Futterpflanzen grün und blühen ausgesprochen üppig. Am meisten vertreten sind hier Kardengewächse wie Skabiosen (Scabiosa), die Wegwarte (Cichorium intybus), der Kleine Wiesenknopf (Sanguisorba minor) und verschiedene Winden- (Convolvulaceae) und Distelarten.

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Der Herbst

Im Herbst, wenn die Macchia nach den ersten Herbstregen zu ihrem „zweiten Frühling“ erwacht, schließt sich der Kreis wieder mit den keimenden Jungpflanzen, die jetzt auch den Schlüpflingen als erste energie- und nährstoffreiche Nahrungsquelle zur Verfügung stehen.

​​Allgemeines

Derbe trockene Pflanzenteile, wie die älteren Blätter der meisten Bäume und Büsche, werden von den Schildkröten nur gefressen, wenn die frischen Grünpflanzen im Hochsommer vertrocknet sind und auch die Baume und Büsche keine jungen Triebe mehr haben.

Nicht oder wirklich nur im äußersten Notfall gefressen werden harzige Pflanzen wie die in manchen Habitaten sehr häufigen Sträucher der Aleppo-Kiefer (Pinus halepensis), der Stern-Kiefer (Pinus pinaster), der Tamarisken (Tamarix), des Stechwacholders (Juniperus oxycedrus) und des Phönizischen Wachholders (Juniperus phoenicea). Allerdings habe ich in Schildkrötenkot im Spätsommer öfters auch schon die reifen 8 bis 14 Millimeter großen Beerenzapfen der Wacholder gefunden. Gerade in den Sommermonaten gibt in Wasser aufgeweichter Kot einen guten Einblick in die Ernährung der Schildkröten. Viele hartlaubige Blätter wie die des Erdbeerbaumes (Arbutus unedo) und harte schwer verdauliche Früchte wie die 10 bis 30 Millimeter großen leuchtend orangebraunen Früchte der Zwergpalme (Chamaerops humilis) finden sich dort neben Schneckenschalen und verschieden großen Kalksteinchen.

Überhaupt nicht gefressen werden offensichtlich alle Arten von Wolfsmilchgewächsen (Euphorbia), und verschiedene ätherische Öle enthaltende Gewürzkräuter wie Rosmarin (Rosmarinum officinalis) Lavendel (Lavandula sp.), Majoran (Origanum sp.) oder die Karst-Bergminze (Satureja montana)

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Giftige Pflanzen

Europäische Landschildkröten schätzen auch Pflanzen mit für uns Menschen und Säugetiere giftigen Inhaltsstoffen. Allen voran diverse Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae) und Raublattgewächse wie die verschiedenen Natternkopfarten (Echium) die zuhauf in den Habitaten vorkommen und zur Grundnahrung der Schildkröten gehören. Aber auch hoch giftige Arten wie die früher als Rattengift verwendete Meerzwiebel (Urginea maritima), Aronstabgewächse wie der Itlaienische Aronstab (Arum italicum), der Krumstab (Arisarum vulgare) oder die Gewöhnliche Schlangenwurz (Dracunculus vulgaris) und die sehr häufig vorkommende ganze Büsche überziehende Schmerwurz (Tamus communis), werden bevorzugt gefressen. Ebenso beliebt sind die Schmetterlingsblüten der vielen Ginsterarten wie beispielsweise des Stechginsters (Ulex euro-paeus), des Besenginsters (Cytisus scoparius) oder des Behaarten Dornginsters (Calicotome villosa) und des Stacheligen Dornginsters (Calicotome spinosa). Ginster enthalten insbesondere in den Blättern und Samen für Säugetiere hoch giftige Alkaloide. In Sizilien habe ich oft Schildkröten beobachtet die sich an heruntergefallenen giftigen Oleanderblüten (Nerium oleander) genüsslich labten.

Bevorzugt gefressen werden ebenso die oft sehr üppig vertretenen Sedum-Arten, welche durch ihren Oxalsäuregehalt, der den Kalziumstoffwechsel stört, ebenfalls als giftig eingestuft sind. 

 

Der Unterschied zwischen Heilsubstanz und Gift ist jedoch nur eine Frage der Dosierung. Schon der bedeutendste Arzt und Naturphilosoph Paracelsus hatte folgende Erkenntnis: “Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“

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Der Kalkbedarf

Die auf kalkhaltigen Böden gewachsenen Pflanzen enthalten genügend Kalzium um adulte Schildkröten ausreichend zu versorgen. Den erhöhten Kalkbedarf den Weibchen zum Beschalen der Eier und Jungtiere für den Aufbau der Knochen und des Knochenpanzers benötigen, holen sich die Schildkröten auf sehr unterschiedliche Weise. Schon die Schlüpflinge fressen noch in den Eigruben an ihren eigenen Eierschalen und suchen später ganz gezielt kleine weiße Kalksteinchen. Wilde Schildkröten fressen die Steinchen nur um Mineralien und Spurenelemente aufzunehmen und nicht um Darmparasiten auszutreiben oder zur Unterstützung der Verdauung wie das Vögel tun.

Junge wie ältere Schildkröten habe ich schon oft beim Fressen von leeren Häuschen der herumliegenden Busch-, Turm- und Schnirkelschnecken beobachtet. Auch die in der Macchia verstreut herumliegenden Knochen verendeter Wildtiere werden von den Schildkröten als Kalkquelle genutzt. Die Schildkröten nagen mit unendlicher Ausdauer an den Knochen wie wir es sonst nur von Hunden kennen. Sepiaschalen liegen im Frühjahr teilweise massenhaft an den Stränden und werden vom Wind und auch von den Möwen weit ins Land hineingetragen. Als weiterer Kalklieferant werden auch Eierschalen genutzt, die zuhauf in verlassenen Bodennestern von Fasan, Reb-, Steinhuhn und Wachtel liegen.

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Zusätzliche Nahrung

Sehr beliebt ist bei den Schildkröten auch der Kot von Pflanzenfressern, wie Hasen, Rehen, Schafen und Ziegen. Auch an Wildschweinkothaufen habe ich Schildkröten schon fressen gesehen. Das Kotfressen ist den Schildkröten angeboren. Schlüpflinge fressen den Kot älterer Artgenossen um ihre zunächst noch nicht entwickelte Darmflora möglichst schnell mit spezialisierten Bakterien und Einzellern zu impfen. Ohne diese Darmflora wäre eine Fermentierung des Futters und damit der Entzug der Nährstoffe aus dem Futterbrei nur unvollständig möglich. Kot von Pflanzenfressern enthält regelmäßig konzentrierte unverdaute Nährstoffe und eine ganze Reihe von überschüssigen Vitaminen und Mineralien, welche die Schildkröten zusätzlich nutzen. 

Tierische Nahrung in Form von Schnecken oder kleinen Insekten nehmen die Schildkröten in der freien Wildbahn eher zufällig auf. Allerdings machen Schildkröten dem Vernehmen nach auch vor Aas nicht halt. Ich selbst habe in vielen Gesprächen mit Einheimischen noch niemanden getroffen der ähnliche Beobachtungen gemacht hat. Obwohl ich in Habitaten hin und wieder verendete Tierkadaver auch in der Nähe von aktiven Schildkröten fand, habe ich selbst noch keine Schildkröte an solchen fressen gesehen. Ich denke es handelt sich hier um vernachlässigbare Einzelbeobachtungen außerhalb von Primärhabitaten.

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