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Wärmeinsel und Mikroklima

Wärmeinseln sind oft relativ kleine Gebiete innerhalb der Landschaft. Beim Durchwandern eines mutmaßlichen Schildkrötenhabitates spürt man die Wärmeinseln geradezu an dem feuchtwarmen im Gelände stehenden Mikroklima.

Wärmeinsel
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Dieser Bericht ist ein Auszug aus meinem Buch „Europäische Schildkröten, Lebensraum und Lebensweise“

 

Nicht alleine der Fortpflanzungserfolg, sondern vor allem das Überleben der nächsten Generationen zeichnet die Lebensraumqualität aus und macht eine Populationsentwicklung erst möglich. Europäische Landschildkröten haben sehr spezifische Habitatsansprüche, ohne die sie ihre angeborenen Instinkte und Verhaltensmuster nicht in vollem Umfang ausleben können. Erfüllt werden diese Habitatsansprüche heute nur noch in fern von jeglicher Zivilisation gelegenen, sehr weitläufigen Landstrichen, die mehr oder weniger bewaldet oder flächig mit Strauch- und Buschwerk überwuchert sind.

Schildkröten sind auch dort weder zufällig noch gleichmäßig über das gesamte Gebiet verteilt und kommen auch nicht in allen rein optisch geeigneten Landschaften im Mittelmeerraum vor. Innerhalb ihres großen Verbreitungsgebietes fordern die europäischen Landschildkröten nicht nur ihre spezifischen Habitatsansprüche in Bezug auf den Vegetationstyp und die Geländestruktur, sondern ganz besonders auch das Vorhandensein eines ganz speziellen Mikroklimas und die Verfügbarkeit geeigneter Eiablageplätze.

Das ursprüngliche natürliche Vorkommen der europäischen Landschildkröten beschränkt sich deshalb auch innerhalb der Ur-Macchia und den heutigen Sekundärlebensräumen in der Macchia und der Garrigue ausschließlich auf windgeschützte, sonnendurchflutete, karge, meist kalkhaltige Abschnitte mit wärmespeichernden, sehr steinigen oder sandigen Böden. Es handelt sich um windgeschützte Wärmeinseln in vollsonnigen Südlagen mit einem eigenen, ganz besonderen feucht warmen Kleinklima.

 

 

Als Mikro- oder Kleinklima wird die Atmosphäre in einem bestimmten abgegrenzten Bereich in unmittelbarer Bodennähe bezeichnet. Der Lebensbereich der Schildkröten innerhalb der Wärmeinseln befindet sich in einem solchen Bereich. Durch die unmittelbare Bodennähe, die Strukturierung des Geländes, des Bewuchses und die dort kaum vorhandene Luftbewegung entstehen auf engstem Raum größere Klimagegensätze bei einer wesentlich höheren Grundtemperatur. Die für die Schildkröten wichtigsten Eigenschaften sind der große Tag-/Nachttemperaturunterschied von weit mehr als 20 °C  und der sich dadurch regelmäßig bildende Morgentau. Dieser Morgentau sorgt zusammen mit der in den Habitaten ohnehin vorhandenen relativ hohen, oft sehr salzhaltigen Luftfeuchtigkeit, für eine noch höhere Luftfeuchtigkeit als im Umland.

Das Mikroklima in den Wärmeinseln hat mit den im Umland herrschenden und von den Wetterstationen erfassten Klimadaten nichts zu tun. Klimawerte, beispielsweise von Athen oder Larissa, geben deshalb keinerlei Anhaltspunkte auf das in den Schildkrötenhabitaten in Griechenland herrschende Mikroklima. Schildkröten leben sonnenexponiert und windgeschützt im unmittelbaren Bodenbereich und nutzen dort insbesondere die direkte Strahlungstemperatur der Sonne. Klimadaten werden in freistehenden Wetterstationen in zwei Metern über dem Boden in vom Menschen bereits stark veränderten Regionen erfasst.

Das in den Wärmeinseln herrschende Mikroklima ist absolute Grundvoraussetzung für gesunde Schildkröten und eine intakte Schildkrötenpopulation.

Die Südlage der Wärmeinseln bringt die bestmögliche Sonneneinstrahlung. Durch die wärmespeichernde, felsige, steinige oder sandige Struktur wird die oberste Bodenschicht von der Sonne extrem stark aufgeheizt. Die Wärme wird im Boden gespeichert und gleichzeitig ständig an die unmittelbar darüberliegende Luftschicht abgestrahlt. In der windgeschützten Lage stagniert die Luft und liegt wie eine Wärmeglocke über der Bodenfläche. Nach Sonnenuntergang wird die im Boden gespeicherte Wärme weiter abgestrahlt, bis dieser selbst schließlich auskühlt. In den frühen Morgenstunden ist die Bodenoberfläche letztlich kälter als die darüberliegende Luftschicht. Aufgrund dieses Temperaturunterschieds schlägt sich unmittelbar in der unteren Vegetationsschicht gerade in den heißen Sommermonaten extreme Feuchtigkeit nieder. Mit dem Sonnenaufgang wird diese Feuchtigkeit langsam wieder getrocknet und der Boden erneut erwärmt. Die Feuchtigkeit der Vegetationsschicht wird nun in die Luftschicht die in der Wärmeinsel steht aufgenommen und sorgt wieder für ein feuchtwarmes Mikroklima unmittelbar über dem windgeschützten Boden.

 

Dieses besondere, tagsüber feuchtwarme und in der Nacht kühle und feuchte Klima in unmittelbarer Bodennähe ist so extrem nur in den windgeschützten Wärmeinseln und nicht im Umland vorzufinden. Die besonders in Küstennähe ständig vorhandene leichte Brise wird von den Hügeln, Bäumen und Büschen die die Wärmeinseln umschließen, abgeleitet und bläst in einer höheren Lage über die Bodenschicht hinweg.

Für die Schildkröten ist dieses feuchte Mikroklima in Verbindung mit dem hohen Tag-/Nachttemperaturgefälle zum gesunden Wachstum und zur Gesunderhaltung wichtig. Die Tiere benötigen zur freien und vor allem auch keimfreien Atmung eine sehr hohe salzhaltige Luftfeuchtigkeit. Lebensnotwendig ist diese hohe Umgebungsfeuchtigkeit in den heißen Sommermonaten, in denen die Schildkröten keinen Zugang zu Trinkwasser haben. Die Tiere verlieren mit jedem Ausatmen Feuchtigkeit, die mit der hohen Umgebungsfeuchtigkeit wieder eingeatmet und dem Organismus zurückgeführt werden muss. Ohne diese feuchte Luft würden die Schildkröten in einem relativ kurzen Zeitraum austrocknen.

Das hohe Temperaturgefälle reduziert nachts den Stoffwechsel und sorgt für ein natürlich langsames Knochen- und Panzerwachstum.

Ebenso wichtig ist dieses feuchte Mikroklima für die gesunde Entwicklung der Embryos in den Eigruben und das gesunde Aufwachsen der Schlüpflinge. Ohne dieses Mikroklima ist ein Überleben der Schlüpflinge in der freien Natur nicht möglich. In dem ineinander verwachsenen, abgestorbenen und immer wieder überwucherten filzartigen Grasbewuchs, in dem die Jungtiere leben, wird die Feuchtigkeit auch in der heißen Sommersonne den ganzen Tag über festgehalten und sorgt so in den Legegebieten nicht nur für eine noch höhere Luftfeuchtigkeit, sondern verhindert letztlich durch die laufend entstehende Verdunstungskälte auch eine Überhitzung der dort lebenden Jungtiere.

Wärmeinsel umgeben von Bäumen
Wärmeinsel mit feuchtwarmen Mikroklima
Die umliegenden Büsche schützen das Mikroklima
Weitläufige Macchia

© 2020 Wolfgang Wegehaupt

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